Wie lernen Kinder unterschiedlicher Herkunft, Nationalität und Religion miteinander zu leben? Die Freie interkulturelle Waldorfschule Mannheim e.V. stellt sich dieser gesellschaftlichen Aufgabe und weist u.a. deshalb einige Besonderheiten in ihrem Konzept auf.
Diese Vielfalt sehen wir als Chance: Der
überkonfessionelle, an allgemein menschlichen Werten orientierte
Lehrplan der Waldorfschule ermöglicht uns die Integration von
interkulturellen Themen in vielen Fächern. Die aktive Auseinandersetzung
mit diesen Kulturen fördert interkulturelle Kompetenzen und eine aktive
Toleranz, was wir mit dem Begriff „interkulturell“ in unserem
Schulnamen zum Ausdruck bringen.
Das internationale Lehrerkollegium (40 Lehrerinnen und Lehrer aus 14 Nationen) arbeitet darauf hin, alle pädagogischen Einzelmaßnahmen an einer Grundidee zu orientieren: Alle Kinder, welcher Hautfarbe, Nationalität, Religion und sozialer Schicht sie auch angehören, sollen die Möglichkeit einer Bildung erhalten, die als zentrale Aufgabe die Förderung der im Kinde veranlagten individuellen Kräfte in den Bereichen des Lernens, der Kreativität und der Persönlichkeitsbildung sieht.
Der Unterricht dauert in der Regel von 8 bis ca. 15 Uhr. Die erste Klasse hat meist bereits um 12.45 Uhr Unterrichtsende, eine Betreuung bis 15 Uhr ist eingerichtet.
Endet der Unterricht der Klassen 1-5 vor 15 Uhr, ist
eine Betreuung garantiert. Im Anschluss an den Unterricht ist eine
Betreuung für die Klassen 1-5 bis 17 Uhr möglich. Außerdem wird eine
Hausaufgabenbetreuung angeboten. Verschiedene AG`s bereichern den Nachmittag.
In der Mittagspause gibt es ein gemeinsames, für die Klassen 1-8 verbindliches, Mittagessen. Das Essen wird täglich von unserem Koch und seinem Team frisch zubereitet. Es wird ausschließlich vegetarische Küche angeboten.
Etwa für die Hälfte unserer Schülerinnen und Schüler ist die deutsche
Sprache nicht Muttersprache und somit eine Fremdsprache, bzw.
Zweitsprache. Deutsch als Vertiefungssprache ist ein gezieltes
Deutsch-Sprachangebot für Schülerinnen und Schüler, die sich noch keine
soliden sprachlichen Grundlagen aneignen konnten. Das Unterrichtsfach
„Deutsch als Vertiefungssprache“ wird von der 2. bis zur 11. Klasse
angeboten.
An unserer Schule nehmen alle Kinder der ersten und zweiten Klasse mit zwei Wochenstunden am „begegnungssprachlichen Unterricht“ , einem Beitrag zum gegenseitigen Verständnis über Sprachbarrieren hinweg, teil.
Inhaltlich führt er in die Sprache und Kultur einer dieser Nationen ein:
Der "begegnungssprachliche Unterricht" wird jahrgangsübergreifend durch muttersprachliche Lehrerinnen und Lehrer erteilt.
Kulturunterricht findet in den Klassen 3-5 statt: in der 3. Klasse erleben die Schülerinnen und Schüler die jüdische Kultur, in der 4. die christliche und in der 5. Klasse die muslimische. In den Klassen 6 und 7 haben die Schülerinnen und Schüler Unterricht in Ethik.
Für die unteren Klassen ist ein Nachmittag für einen wöchentlichen Ausflug reserviert: Die Kinder lernen zunächst die nähere Umgebung um die Schule kennen. Mit der Zeit vergrößert sich der Radius, bis in der Heimatkunde-Epoche in der 4. Klasse die Nachbarstädte besucht werden.
Etwa ab der 3. Klasse sind jährlich gemeinsame Klassenfahrten geplant; zunächst mit wenigen Übernachtungen bis hin zu 14 Tagen in den oberen Klassen. Ausflüge und Klassenfahrten bieten vielfältige Begegnungsräume. Sie fördern soziale Kompetenzen und das ökologische Bewusstsein durch Naturerfahrungen. So kann manchmal spielerisch, manchmal auch unter Einsatz von Schweiß und Ausdauer, eine gute Klassengemeinschaft gebildet und gefestigt werden.
Schade nur, dass Klassenfahrten niemals lang genug sein können...
Der Projektunterricht ist ein weiteres Angebot unserer Schule, um eine
sinnvolle und ausgeglichene Gestaltung des Schulalltages an einer
Ganztagesschule zu ermöglichen.
Der Projektunterricht hat sehr
viel mit Bewegung zu tun, es wird mit den Händen gearbeitet, die
Sinneswahrnehmung wird geschult und sensibilisiert, soziales Lernen und
Sprache werden geübt. Dieser Unterricht findet in den Klassen 2 - 6
zweimal wöchentlich statt.
Ein herausragendes Ereignis ist die
Projektwoche am Ende des Schuljahres, in der alle Schülerinnen und Schüler klassenübergreifend
Gruppen zu einem gemeinsamen Thema besuchen.
Der Projektunterricht ist grundsätzlich nicht curricular gebunden, seine Wirksamkeit und Kraft leben daraus, dass nicht vorgegebene Lehrziele eingehalten werden müssen, sondern dass er völlig flexibel das aufgreifen und dem Raum geben kann, was sich im Blick auf die Kinder als notwendig oder wünschenswert herausstellt.
Es werden nicht bestimmte Projekt durchgeführt, sondern der Projekt-Unterricht bildet einen Rahmen,in dem sehr beweglich neue Projektideen realisiert werden können. Es haben sich jedoch bestimmte Unterrichtsregeln herausgebildet:
Das praktische Lernen steht im Vordergrund.
Jedes Projektvorhaben muss pädagogisch begründet sein. Was brauchen die Kinder?
In welchem Bereichen müssen sie gestärkt werden wie z.B. in ihrer motorischen
Geschicklichkeit,
in ihrer Sinneswahrnehmung, in ihrem praktischen Arbeiten, in ihren
künstlerischen oder handwerklichen Fähigkeiten. Es geht darum ihre
musikalischen oder tänzerischen Kräfte zu erkennen und zu entwickeln.
Das
soziale Lernen: wie das Lernen von Konfliktfähigkeit, Schulung der
Gruppendynamik, ihre Kooperationsfähigkeit zu schulen, dem Üben von
bestimmten hilfreichen Regeln und Abläufen,
Selbstständigkeit und die Förderung der eigen gestalterischen Kräfte.
Das Projektvorhaben muss altersgemäß sein, d.h. dem Entwicklungsstand der jeweiligen Klassenstufe und des Kindes angemessen.
Das Vorhaben sollte an die Jahreszeit gebunden sein und ein Lebensbezug zu den Kinder hergestellt werden können.
Das
Projektvorhaben sollte mit dem Klassenlehrer abgesprochen werden,
gemeinsam durchdacht und begründet werden. Es kann einen direkten Bezug
zu den Themen und Lernschwerpunkten des Hauptunterrichtes haben
und
diesen sinnvoll ergänzen z.B. im Sinne einer praktischen Vertiefung.
Ebenso kann es aber auch andere pädagogische Ziele erfüllen unabhängig
vom Hauptunterricht.
Die interkulturelle Komponente: der Projektunterricht als ein Ort des sozialen Lernens. In der praktischen wie künstlerischen Tätigkeit fällt das kulturell trennende Element, die Sprache weitgehend weg, es sind sprachfreie Begegnungen und Verständigungen möglich. Es können zudem Themen aus anderen Kulturen bewusst aufgegriffen werden, z. B. das türkische Schattenspiel, der brasilianische Tanz, das afrikanische Trommelstück, usw.
Der Projektunterricht bietet den Kindern unter pädagogischer Führung einen Freiraum für Selbstständiges, tätiges, praktisch-spielerisches Welterleben, indem die Kinder aus eigener Kraft und Tätigkeit zur Erfahrung kommen.
Er ist gerade wegen seiner großen Gestaltungsfreiheit immer auch an die pädagogischen Fähigkeiten
der Lehrkraft gebunden, der ganze Reichtum des Projektansatzes lebt
über die verschiedenartigen Schwerpunkte, die jeder Lehrer mitbringt.
(Vgl. Schule ist bunt. Brater,
Hemmer-Schanze, Schmelzer. Verlag Freies Geistesleben. Stuttgart, 2007
Einmal im Schuljahr findet die Projektwoche statt. Lehrer und Schüler arbeiten in
klassenübergreifenden
Gruppen zu einem bestimmten Thema, oft ein einheitliches Thema wie
Zirkus, die Ur-Religionen der Welt, Leben und Handwerk der verschiedene
Kulturen, Natur- und Umwelt etc. In jeder
Gruppe setzten Schüler und Lehrer sich mit dem Thema auf unterschiedliche Art und Weise auseinander.
Der gemeinsame Garten der MaJuna ( Mannheimer Junge und Alte) und unserer Schule im Herzogenried ist ein
idealer Ort für entspannte Begegnung und Naturerfahrungen und bietet
eine wunderbare Möglichkeit das Band zwischen den Generationen neu zu
knüpfen und zwischen den Kulturen auszubauen. Der Garten ist ein
geschützter Ort und ein Freiraum.
Viele Kinder in der Stadt wachsen ohne Bezug zu Garten und Natur auf, sie lernen von den Erwachsenen den Garten als Raum kennen. Durch elementare Tätigkeiten an den Beeten mit Gemüse, Kräutern, Blumen und Sträuchern erleben die Kinder den Jahresrhythmus in der Natur und lernen biologische Vielfalt kennen. Sie werden zu ökologisch verträglichem Verhalten angeleitet und auf die Probleme des Umweltschutzes aufmerksam gemacht.
Die Schülerinnen und Schüler erstellen eine Jahresarbeit über ein von ihnen selbst gewähltes Thema und führen gemeinsam ein Theaterstück auf.
Praktika, Bewerbungsberatung und Berufsorientierung werden an unserer Schule zentral betreut. Zurzeit werden in der 9. und 10. Klasse je dreiwöchige Berufspraktika absolviert. In persönlichen Beratungsgesprächen werden die individuellen Stärken und Interessen der Schülerinnen und Schüler erarbeitet und potenzielle Praktikums- bzw. Ausbildungsbetriebe ermittelt. Auf Basis individueller Betreuungs- und Unterstützungsangebote soll die Möglichkeit geschaffen werden, dass Schülerinnen und Schüler, welche die Schule mit einem Haupt- bzw. Realschulabschluss verlassen möchten, direkt in geeignete Ausbildungsgänge und Betriebe vermittelt werden.
Die Schülerinnen und Schüler arbeiten in verschiedenen Revierförstereien, wo dann Waldpflegearbeiten, z. B, Neuanpflanzungen, Gehölze frei machen für das Wachstum der Jungpflanzen, Renaturierungsarbeiten u. v. m., durchgeführt werden. Die jungen Menschen sollen damit durch die praktische Tätigkeit einen Einblick in Naturzusammenhänge bekommen, Verständnis für die Bedeutung des Waldes, der Tierwelt, klimatischen Zusammenhänge u. a. entwickeln und durch eigene Tätigkeit ein Bewusstsein auf die vielfältigen Elemente des Lebensbereiches Wald lenken. Auch ein erster Einblick in die Arbeitswelt sollen sie durch dieses Praktikum erhalten.
1. Berufspraktikum (3 Wochen)
Im ersten Betriebspraktikum sollen Berufsalltag,
Betriebsabläufe, betriebswirtschaftliche Zusammenhänge und ökonomische Prozesse
begriffen und erlebt werden. Wichtig dabei sind die sozialen Kompetenzen, die
eigene Arbeitshaltung und Entdeckung eigener Berufsneigungen. Begleitet werden
die Schüler dabei vom Zuständigen der Schule für die Berufsorientierung. Er
besucht die Schüler bei ihren Praktika und begleitet auch die Nachbereitung.
Über ihr Praktikum erstellen die Schüler einen schriftlichen Bericht.
Landwirtschaftspraktikum (3 Wochen im Frühjahr)
Das Landwirtschaftspraktikum wird allein oder zu zweit auf einem Bauernhof absolviert. Unsere Schüler tauchen in andere Arbeitszusammenhänge ein machen und dabei meist die Erfahrung, sich durch eigene Anstrengung nützlich zu machen. Sie erleben den Jahresrhythmus in der Natur, die biologische Vielfalt und damit die Natur als Lebensgrundlage kennen.
2. Betriebspraktikum (3 Wochen)
in einem weiteren Betrieb unter Betreuung des Schulbeauftragten für Berufsorientierung.
Vermessungspraktikum (1 Woche)
Hier kann das, was in der Trigonometrie gelernt wurde, in praktischer Arbeit angewendet und dadurch noch einmal ganz anders verinnerlicht werden.
Sozialpraktikum (3 Wochen)
Elftklässler können allein oder in kleinen Gruppen in einer sozialen Einrichtung den Umgang mit völlig anderen sozialen und Lebenszusammenhängen kennenlernen. Auch hierbei, in der Vor- und Nachbereitung werden sie vom Zuständigen der Schule für Berufsorientierung betreut. Im Anschluss erstellen unsere Schülerinnen und Schüler einen schriftlichen Bericht. Zum Teil präsentieren sie ihre Erlebnisse auch in der Schule.
Abschluss der Waldorfschulzeit
Noch einmal ein intensives Schuljahr mit einer Jahresarbeit, einem Schauspiel, einem künstlerischen Abschluss und einer gemeinsamen Abschlussfahrt, also vielen künstlerischen und praktischen Erfahrungen.
Der Lehrplan der Waldorfschulen ist grundsätzlich
auf 12 Schuljahre ausgelegt, um jedem jungen Menschen den Zugang zu
einer möglichst den heutigen Ansprüchen angemessenen Allgemeinbildung zu
ermöglichen.
Die Oberstufe umfasst die Klassen 9 - 12. Je nach
individueller Situation unserer Schüler ist es möglich, mit einer
bestandenen Abschlussprüfung die Schule vorher zu verlassen. Wir bieten
derzeit als Abschlüsse an:
Der Hauptschulabschluss kann am Ende der 10. Klasse abgelegt werden.
Der Realschulabschluss wird an unserer Schule in der 12. Klasse angeboten.
Die Fachholschulreife wird derzeit in der 13. Klasse angeboten.
Schüler*innen, die das Abitur anstreben, wechseln zu Beginn der 12. Klasse an die Waldorfschule in Mannheim-Neckarau oder nach Frankenthal.
Der Hauptschulabschluss an
Waldorfschulen ist keine zentrale Prüfung.
Auf der Grundlage des Jahreszeugnisses
der jeweiligen Klassenstufe wird die Gleichwertigkeit mit dem Hauptschulabschluss
der staatlichen Schulen bestätigt.
1.Schriftliche Prüfungsfächer:
2. voraussichtlich 3 mündliche Prüfungsfächer ab dem Schuljahr 20/21.
Durch die vierjährige Oberstufenzeit an einer Waldorfschule müssen mindestens 1.300 handwerklich-künstlerische Stunden nachgewiesen werden. Das ist Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung. Die Prüfung besteht aus drei Teilen:
A.
Schulischer Teil
1. Schriftliche Prüfungsfächer:
2. Mündliches Prüfungsfach: ein naturwissenschaftliches Fach ( z. Bsp. Biologie)
3. Hospitationsfach: Geschichte
4. Wahlfächer aus der 12.Klasse:
B. Berufsbezogener Teil
1. Künstlerisch-handwerkliches Fach: z.B. Holz-Gestaltung, mit Jahresarbeit (Praxis) und Fachtheorie und Fachpraxis
C. 9-monatige praktische Tätigkeit, die derzeit in die Schulzeit (12. Klasse ) integriert ist.
Hier gibt es verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten:
Die Praktika der Oberstufe
"Die Aufgabe des Waldorflehrers ist, die noch verborgenen inneren
Anlagen des heranwachsenden Schülers so wahrzunehmen und ihn so zu
unterrichten, dass er ihm hilft, physische und seelische Hindernisse zu
überwinden und diese Anlagen zu entfalten. Dadurch kommt der junge
Mensch nach und nach in die Lage, durch selbständiges Denken seine
eigenen Entschlüsse zu fassen. Nur so findet der Heranwachsende zu
seiner inneren Freiheit.
Wenn der junge Mensch, der die Schule verlassen hat, die Verantwortung für sein Handeln und seine Weiterentwicklung in die Hand nehmen kann, dann bedient er sich dessen, was ihm die Schule, der Unterricht zur Verfügung gestellt hat." (Rundbrief_146_2016.pdf,Beate Kötter-Hahn, Freie Waldorfschule Uhlandshöhe Stuttgart)
Alle Schüler*innen lernen gemeinsam ab der ersten Klasse und bleiben bis zu ihrem Abschluss in der 10., 12. oder 13.Klasse im Klassenverband.
Auch wenn Waldorfschulen in der Unter- und Mittelstufe auf Noten verzichten, werden die Schülerarbeiten selbstverständlich gewürdigt. An Stelle der Noten stehen individuelle Beurteilungen, in denen die Lehrer *innen gleichermaßen auf die Persönlichkeitsentwicklung und die Lernfortschritte ihrer Schüler*innen eingehen. Es zählt also nicht allein der Wissensstand, sondern die Gesamtentwicklung in einem bestimmten Zeitraum. Waldorfschüler*innen lernen von der ersten bis zur zwölften Klasse in einer stabilen Klassengemeinschaft, unabhängig vom angestrebten Schulabschluss: Niemand wird unterwegs sitzen gelassen.
Um die Möglichkeit einer erlebnismäßigen Vertiefung zu schaffen, werden die Unterrichtgebiete in etwa vierwöchigen „Epochen“ behandelt; so wechseln Schreiben und Lesen, Rechnen, Naturkunde, Geografie, Geschichte , Physik und Chemie im Laufe eines Schuljahres einander ab. Fächer, die ein kontinuierliches Üben erfordern, wie etwa Sprachen, Musik, Handarbeit und Sport werden nach diesem sogenannten Hauptunterricht in Fachstunden gegeben.
Waldorfpädagogik legt auf die vertrauensvolle Beziehung zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen großen Wert. Vor diesem Hintergrund sind die Klassenlehrer*innen eine entscheidende Bezugsperson, besonders in den unteren Klassen. Sie unterichten die Schüler*innen in der Regel von der ersten bis zur achten Klasse jeden Morgen in dem sogenannten Hauptunterricht, einem Blockunterricht von zweistündiger Dauer.
Der naturwissenschaftliche Unterricht in der Oberstufe knüpft an eine Vielzahl verwandter Epochen der ersten acht Schuljahre an. Wurde die Welt in der Tier-, Pflanzen- und Menschenkunde der Mittelstufe vor allem bildhaft und an konkreten Erlebnissen erfahren, so geht es in der Physik, Chemie, Biologie und Erdkunde der Oberstufe um die selbstständige begriffliche Auseinandersetzung mit den Erscheinungen. Wurden in den jüngeren Klassen beispielsweise die Elemente Feuer, Luft, Erde und Wasser beim Hausbau oder im Schulgarten erlebt, bearbeitet und "begriffen" und in der Mittelstufe später phänomenologisch erkundet, so gilt es in der Oberstufe, die Gesetzmäßigkeiten, verschiedene Erklärungsmodelle und die sozialen Bezüge der Naturwissenschaften zu entdecken.
An Waldorfschulen werden in der Regel ab der ersten Klasse zwei Fremdsprachen unterrichtet. Der Sinn darin besteht auch darin, eine positive Haltung gegenüber Menschen anderer Kulturen zu entwickeln und so Verständnis zwischen den Menschen zu fördern. Begonnen wird in der Unterstufe mit traditionellen Kinderreimen, Liedern und Gedichten, in der Mittelstufe wird der Unterricht durch die Lektüre von Märchen, Volkssagen und Geschichten fortgesetzt und in der Oberstufe kommt es dann zur Begegnung mit den Klassikern, mit zeitgenössischer Literatur und vielfältig anregenden Sachtexten.
Die Waldorfschulen haben mit der Auslese auch das übliche Zensurensystem abgeschafft. Die Zeugnisse bestehen aus möglichst detaillierten Charakterisierungen, die die Leistung, den Leistungsfortschritt, die Begabungslage, das Bemühen in den einzelnen Fächern durchsichtig machen. Die Schüler schließen die Schule mit dem Hauptschulabschluss, dem Realschulabschluss, der Fachhochschulreife oder dem Abitur (nach dem 13. Schuljahr) gemäß den in den Bundesländern jeweils geltenden Regeln ab.
Handwerklich-künstlerische Fächer sind wesentlicher
Bestandteil des Fächerkanons von der ersten bis zur zwölften Klasse. Der
zweistündige Handarbeitsunterricht beginnt in der ersten Klasse und
wird ab der fünften durch den Werkunterricht ergänzt. Im Werken werden
zunächst der Umgang mit dem Handschnitzmesser erlernt und kleinere
Arbeiten aus weichem Lindenholz angefertigt. Neben der sicheren und
geschickten Handhabung eines scharfen Werkzeuges werden elementare,
sinnliche Erfahrungen mit dem lebendigen Werkstoff Holz gemacht. Ab der
sechsten Klasse wird an der Werkbank mit Hartholz gearbeitet. Durch
sachgerechtes Raspeln und Feilen wird plangerecht ein funktionsgerechtes
Werkstück gefertigt, dabei wird das vorstellende Denken geübt.
Ab der neunten Klasse
findet der handwerklich-künstlerische Unterricht in zwölfwöchigen
Epochen mit vier Wochenstunden statt. Die Schüler*innen besuchen in
Gruppen von 10-12 Jugendlichen Kurse in Schneidern, Korbflechten,
Schreinern, Weben, Kartonage, Buchbinden, Plastizieren, Steinbildhauen,
Zeichnen und Schauspiel. Durch die Vielfalt der Angebote wird ein
breites Spektrum an Herausforderungen geschaffen, an denen sich
zahlreiche Fähigkeiten individuell entwickeln können. Neben
gestalterischen Kompetenzen werden methodische und personale
Fähigkeiten, wie Ausdauer, Sorgfalt, Selbständigkeit, Initivtivkraft,
Lernwille und Motivation gefördert. Hinzu kommen soziale Kompetenzen und
Teamfähigkeit, die in der späteren Arbeitswelt zunehmend erforderlich
sind. Für den Unterricht stehen speziell eingerichtete Werkstätten zur
Verfügung.
Durch diese Unterrichtsvielfalt lernen Schüler *innen weitblickend zu denken und zu handeln. Sie lernen aus der unmittelbaren Erfahrung ihres Handelns heraus Verantwortung zu übernehmen und in die Zukunfts zu planen.
Wir arbeiten, um einen Beitrag zu leisten
Wir haben eine Schule gegründet für Kinder aller sozialer Gruppen, Kulturen und Milieus – unabhängig von ihrer Herkunft und sonstiger Verschiedenheiten. In dieser findet jedes Kind seine eigene Entwicklungsperspektive und lernt, mit diesen Verschiedenheiten fruchtbar umzugehen.
Wir verstehen uns als Kollegium, das sich diese Aufgabe vorgenommen hat, aber keine Patentlösung dafür besitzt; wir sind eine „Wagnis-Gründung“, wir stellen uns der Aufgabe, ohne genau zu wissen, „wie es geht“.
Diese Ungesichertheit auf allen Ebenen verhilft uns zur nötigen Offenheit, zu einer Forschungshaltung, mit der wir jenseits aller Normen, Lehrbuchweisheiten und fixen Erwartungen unsere Pädagogik völlig neu schöpfen müssen – da kann auch ein Scheitern einer Idee zum Lernprozess für alle werden. Wir können nicht auf ein „sicheres Wissen“ zurückgreifen, sondern müssen unser Vorgehen neu entwickeln, stets belehrt durch die Kinder und die gemeinsame Situation mit ihnen.
Neuland kann nur gewonnen werden von denen, die vollkommen authentisch handeln – diese innere Haltung durchzieht unseren Alltag.
Um Kinder aller Gruppen und Kulturen gemeinsam
unterrichten zu können, brauchen wir eine Pädagogik, die vollkommen
kulturunabhängig ist.
Diese finden wir in der auf eine
Allgemeine Menschenkunde gegründeten Waldorfpädagogik, die das sich
allgemein im Menschen Entwickelnde hinter allen kulturellen Differenzen
sieht und berücksichtigt.
Sie hilft uns zugleich, für die seelische
Entwicklung der Kinder auf den Reichtum und die Vielfalt der Kulturen
zurückzugreifen und so jedem einzelnen seinen Weg in ein selbständiges
Leben zu eröffnen.
Wir gehen dort hin, wo wir gebraucht werden. Wir
interessieren uns für die vielen kulturellen Welten unserer Kinder und
stellen uns ihren Realitäten. Deshalb lassen wir alle Distanz
schaffenden Sonderwelten hinter uns und verbinden uns mit dem
Lebensumfeld derer, die sonst nicht zu uns finden.
Wir haben erfahren, dass wir aus allem etwas machen, sein Wesen freilegen, seine Möglichkeiten entfesseln können, wenn wir es schätzen und lieben. So lernen wir, auf allen Ebenen aus Wenigem viel zu machen.
Der Moment
ist entscheidend. Wir öffnen uns für die großen und kleinen Krisen, die unsere Lernchancen enthalten.
Unsere
Mittel sind nicht Zitate, Dogmen und Wissen, wie es geht, sondern die
individuelle Verankerung in der anthroposophischen Pädagogik – und das
Vertrauen in die Menschen.
Die methodischen Erfahrungen der
Waldorfschule entdecken wir als Notwendigkeit wieder – aber wir müssen
sie völlig neu ergreifen und sie in neue Formen fassen. Das ist für uns
tägliche Forschungsarbeit.
Am 11. September 2003, genau zwei Jahre nach den
Terroranschlägen auf das World Trade Center, wurde die Freie
Interkulturelle Waldorfschule Mannheim e.V. mit 36 Schülern in zwei
Klassen begründet: Die erste Waldorfschule interkultureller Ausprägung
in Europa. Der Impuls der Schulgründung fiel in eine Zeit, in der die
Welt zu wanken schien.
Internationale Spannungen, Terrorismus und Kriege, Veränderungen der Machtbezüge, Globalisierung und Klimawandel ließen die Frage immer dringlicher erscheinen, wie ein Kampf der Kulturen vermieden, Stabilität und eine Basis für ein friedliches Miteinander, Relspekt und Tolerenz gelegt und eine biologische Vielfalt erhalten werden könne.
Die Integration der ausländischen Einwanderer ist
eine der zentralen gesellschaftlichen Aufgaben der Gegenwart. So hat
sich auch parteiübergreifend die Erkenntnis durchgesetzt, dass
Deutschland Zuwanderung braucht.
Gleichzeitig wird immer
deutlicher, dass Integration nicht einfach Assimilation, Anpassung an
bestehende Lebensgewohnheiten und tradierte kulturelle Standards der
deutschen Bevölkerung bedeuten kann. Denn diese kulturellen Standards
haben auch innerhalb der deutschen Gesellschaft ihre Verbindlichkeit
verloren: die sich zunehmend herausbildende Pluralität der Lebensstile
fordert gesamtgesellschaftlich neue Verständigungsfähigkeiten und
Toleranzbereitschaft.
Zudem hat die dritte Generation der
Einwanderer ein eigenes Selbstbewusstsein entwickelt, das auf einer
lebendigen Auseinandersetzung mit der - oft religiös geprägten -
Identität ihrer Herkunftsfamilie beruht. Als realistische
Zukunftsperspektive zeichnet sich somit nicht die Möglichkeit der
Restaurierung einer kulturell homogenen Gesellschaft ab, viel mehr wird
es darum gehen, ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher
kultureller und religiöser Strömungen mit ihren differenzierten
Lebensformen zu entwickeln.
Die Kinder der Einwanderer haben die
Chance, hier beispielgebend zu wirken, leben sie doch in verschiedenen
kulturellen Zusammenhängen und bringen daher Erfahrungen mit, die (bei
entsprechender Förderung) Fähigkeiten für neue gesellschaftliche
Perspektiven werden könnten.
Die Situation an deutschen Schulen jedoch zeigt, dass sich diese positive Entwicklung nicht automatisch vollzieht. Die Problemlagen an Schulen mit bis zu 80 % Ausländeranteil haben vielerorts Bestrebungen ins Leben gerufen, sich den veränderten Bedingungen zu stellen. Tragfähige Konzepte werden gebraucht.
Es stellt sich die Frage, wie ein Kampf der Kulturen vermieden und die Basis für eine Kooperation gelegt werden kann. Welche Gemeinsamkeiten sind unverzichtbar, welche Differenzen sind bereichernd?
Die Suche nach einem Grundkonsens setzt für alle Mitglieder der Gesellschaft Fähigkeiten voraus: das Verstehen der deutschen Sprache, das Einleben in einen (geistes-) geschichtlichen Entwicklungsstrom, der zur Formulierung der Menschenrechte geführt hat, das Kennenlernen der deutschen Verfassung und der Bürgerrechte und -pflichten, aber auch die lebendige Auseinandersetzung mit verschiedenen Weltreligionen und -kulturen.
Auf diesem Hintergrund zeichnet sich
für das Schulsystem eine neue Herausforderung ab: Wir werden im 21.
Jahrhundert vor der Aufgabe stehen, Wege zu einer interkulturellen
Erziehung zu entwickeln. Betrachtet man die Realität an den Schulen, zeichnen sich folgende Problemschwerpunkte ab:
Wie lernen Kinder unterschiedlicher Herkunft,
Nationalität und Religion miteinander zu leben? Wie können sie gemeinsam
lernen und dabei individuell gefördert werden? Wie können Eltern eine
ganzheitliche und zukunftsorientierte Pädagogik mitgestalten? Wie kann
ein ökologisches und globales Bewusstsein in einer globalisierten
Welt geschaffen werden?
Wir leben im Zeitalter der Globalisierung
– die Welt wächst immer stärker zusammen. Damit steht die Pädagogik vor
einer neuen Herausforderung: Es gilt, Grundlagen für eine
interkulturelle Begegnungsfähigkeit zu schaffen, indem gegenseitiges
Verstehen und wechselseitige Toleranz gefördert werden. Konkret
realisieren lässt sich ein solches Anliegen in der gemeinsamen Erziehung
von Kindern, die verschiedenste religiöse und kulturelle Hintergründe
mitbringen. Denn damit bietet sich die Chance, in einer
Schulgemeinschaft einen großen Reichtum von Lebensformen, Traditionen
und Festen kennen- und respektieren zu lernen. Allerdings vollzieht sich
eine solche Entwicklung nicht automatisch – sie muss durch das
Schulkonzept und die Unterrichtsmethode gezielt veranlagt werden.
Eine
Schule, die sich den Bedingungen einer interkulturellen Erziehung
stellen will, muss eine Nahtstelle zwischen den unterschiedlichen
Lebenswirklichkeiten der Kinder darstellen; sie muss Lebens- und
sozialer Begegnungsraum sein, in dem das Verbindende, das „allgemein
Menschliche“ im Vordergrund steht.
Auf dem Hintergrund solcher
Überlegungen wurde im September 2003 die Interkulturelle Waldorfschule
in Mannheim-Neckarstadt eröffnet.
Viele Stiftungen, Unternehmen und Einzelpersonen haben unseren
Schulimpuls von Anfang unterstützt, so dass diese Schule entstehen und
wachsen konnte. Wir sind dankbar, dass wir durch ihre finanzielle und
ideele Hilfe unser Konzept so ausgestalten konnten, wie es jetzt ist.
Wir sind dankbar für jede Form der Förderung. Wir sind dankbar, dass
unsere Schulgemeinschaft in ein Netzwerk von Kooperationspartnern und
Unterstützern eingebunden ist.
Zu wissen, dass viele Institutionen und letztlich die Menschen, die in ihnen arbeiten, an unserer Seite stehen, bestärkt uns in unserem Weg.
Akademie für Waldorfpädagogik
Freie Waldorfschule Mannheim Neckarau
Jugendhaus und Abenteuerspielplatz Erlenhof
Biotopia Arbeitsförderungsbetriebe Mannheim
Quartiermanagement Herzogenried
Quartiermanagement Neckarstadt-West
MaJunA e.V. - Leben und Wohnen im Alter
Lebensnahes Lernen e.V.
Bund der Freien Waldorfschulen
Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Waldorfschulen Baden-Württemberg (LAG)
Diese Persönlichkeiten konnten wir bereits bei uns begrüßen. Wir bedanken uns für Ihre Zeit und Unterstützung.